Jun 09, 2017
Wenn ich einen Rat geben soll, was am einfachsten machen soll, um seine Beziehungssituation zu verbessern, dann ist es ehrlich oder „authentisch“ zu sein. Allein an diesem Vorhaben kann man die ganze Geschichte von einem selbst oder seinem Gegenüber ablesen.
Was hindert uns eigentlich daran, „einfach“ authentisch zu sein (was natürlich erstmal überhaupt nicht einfach ist)? Letztendlich, wenn man tief in sich hereinschaut, ist der der Glaubenssatz, nicht gut genug zu sein. Es ist die Annahme, ich muss „Strategien“ anwenden und vielleicht sogar manipulieren, um andere von mir überzeugen zu können. Natürlich versucht jeder, einen guten Eindruck von sich zu vermitteln, und dagegen ist auch nichts einzuwenden. Problematisch wird es aber, wenn man Dinge nicht sagt, nicht fragt, sich nicht wünscht, nur um keinen „Ärger“ zu produzieren oder verlassen zu werden.
Karin kommt mal wieder zu mir. Sie sucht nach einer toxischen Beziehung nach einem neuen Partner, und versucht „gesünder“ zu daten. Sie berichtet von einem Mann, den sie das dritte mal getroffen. Schon am Anfang hatte sie dazu die Erfahrung gemacht, dass die Fotos von ihm in seinem Online-Dating Profil auch offenbar sehr, sehr alt waren. Auf dem jetzigen Treffen erfährt sie nun, dass er nicht nur bei dem Alter nicht ganz ehrlich war, außerdem hat er plötzlich auch einen Sohn, von dem bisher nie die Rede. Karin merkte, dass sie das sehr irritiert hatte. Die „alte“ Karin hätte das heruntergeschluckt. Sie hätte sich eingeredet, dass er bestimmt gute Gründe hat dies zu tun und hätte wohl geschwiegen.
Die „neue“ Katrin aber spricht dies ruhig an und fragt einfach nach, warum er das macht. Sie weiß inzwischen, dass es keinen „Mangel“ gibt was Dating angeht, und unter 4 Milliarden Männern bestimmt auch welche dabei sind, die die eigenen Standards erfüllen. Sie weiß, das es ausreicht, wenn sie ein komisches Gefühl hat, und es keinen weiteren Grund braucht eine Irritation anzusprechen. So ein Zurückhalten von Informationen ist zwar eigentlich schon an sich problematisch für sie, aber sie will ihm auch eine Chance geben.
Ihr Date versucht zuerst, sich zu erklären. Dann reagiert er aber unangenehm, er sagt ihr scharf, sie sei völlig „unentspannt“ und „wisse wohl nicht wie es heutzutage läuft beim Dating“. Beleidigt verlässt er recht schnell das Abendessen. Karin ist zunächst etwas gestresst von dieser Reaktion, scheinbar ist es genau das, was sie befürchtet hat. Gemeinsam finden wir aber schnell heraus, dass sie durch Authentizität schnell bemerkt hat, dass dieses Date für sie ein hochproblematischer, kontrollierender Partner geworden wäre.
Im weiteren Verlaufe merkt sie, wie sie auch in anderen Alltagssituationen zum Beispiel mit Freunden, mit ihrem Vermieter oder auch am Arbeitsplatz vermieden hat, einfach klar zu sagen, wenn etwas ihre Grenzen überschreitet oder sie etwas braucht. Sie bemerkt, dass dahinter die alte Angst aus der Kindheit steckt: Zurückgewiesen oder bestraft zu werden, wenn sie ihre Bedürfnisse äußert.
Das Gleiche gilt für Authentizität in bestehenden Beziehungen. Vielleicht geht es darum, den obligatorischen Abend auf der Couch nicht mehr mitmachen zu wollen. Oder dem Partner zu sagen, dass die Beziehung so schlecht läuft, dass man droht sich in jemand anderen zu verlieben. Oder seiner Freundin zu sagen, dass man ihr Parfum überhaupt nicht mag.
All das geht nur, wenn man vorher an dem eigenen Stand gearbeitet hat, eine echte Unabhängigkeit findet, die automatisch attraktiv macht, weil sie zeigt, wieviel Wert man sich selber beimisst. Die Menschen, die sich in diesem Prozess distanzieren oder die man sogar verliert, haben sowieso nicht gepasst. Der Weg zum Gipfel ist nie überfüllt!
Echte Authentizität hat übrigens immer auch mit Mitgefühl zu tun. Es bedeutet nicht, dass man dem Anderen in aggressiver Weise ein Feedback um die Ohren haut, nur um „die Wahrheit“ zu sagen.
Der Autor ist zu erreichen unter www.eheberatung.info und www.liebeschip.de.
Namen sind geändert.