Sep 11, 2017
Eine meiner wirklich interessanten Erfahrungen mit nun 18 Jahren als Paartherapeut ist, dass die Dinge, die landläufig als "unmoralisch" gelten, häufig auch die stressigsten sind. Schon der Dalai Lama sagte mal, dass man keine Moral brauche um zu erkennen, dass zum Beispiel das Lügen meist keine gute Idee ist. Insbesondere Menschen mit schwierigen Beziehungserfahrungen empfehle ich daher die ganz normale "feste" Beziehung mit gegenseitiger Treue - solange es eben hält. Es muss ja nicht immer alles für das ganze Leben sein.
Trotzdem sind wir alle nur Menschen und es passiert uns alles Mögliche. Gerade wenn Gefühle ins Spiel kommen, wirft man leicht viele eigene Standards über Bord.
Anders als sonst würde ich hier gerne mal die Situation der "Affäre" beleuchten, da auch dieser Part häufig extrem leidet:
Karla kommt in meine Praxis für einen einzelnen Termin. Sie spielt in ihrer Freizeit Basketball, und sie hatte sich auf eine Affäre mit ihrem Trainer eingelassen. Eigentlich war er gar nicht ihr Typ, aber die vielen Komplimente und das beharrliche Werben von ihm haben sie schließlich überzeugt. Das Problem ist nur, dass ihr Partner in einer Ehe steckt mit zwei Kindern. Er betonte von Anfang an, dass die Ehe eigentlich in den letzten Zügen sei, er würde sich sowieso bald trennen, er warte nur noch bis sein jüngstes Kind die Schule gewechselt habe. Dies alles war vor zwei Jahren, und es ist nie zu dieser Trennung gekommen. Immer wieder hatte er neue Gründe und Probleme, warum er sich nicht trennen könne. Immer wieder werden neue Versprechungen gemacht - und gebrochen. Karla hingegen wünschte sich nicht nur eine offizielle Beziehung, sie wollte auch selber endlich eine Familie gründen.
Ich bespreche mit Karla, dass sich eigentlich nie solche Dinge ändern. Wenn ihr Freund sich hätte trennen wollen, hätte er es längst getan. Wahrscheinlich bekommt er alles von ihr was er noch braucht, und das heimelige Zuhause mit seinen Kindern will er offenbar auch nicht aufgeben. Selbst wenn er in eine offizielle Beziehung mit ihr gehen würde, würde sie wahrscheinlich irgendwann auch betrogen werden (oft nimmt man fälschlicherweise an, man selbst wäre eine Ausnahme). Zumindest würde sie immer „mit einem Auge offen“ schlafen.
Karla ist aber nicht ganz überzeugt. Sie sagt, sie hänge einfach zu sehr an ihm. Sie würde zwar sehr leiden, aber sie wollte ihm noch eine Chance geben und mehr einfordern, dass er sich jetzt endlich zu ihr bekennen sollte.
Nach drei Monaten sehe ich Karla wieder, sie ist völlig am Boden zerstört. Ihr Freund wurde zusehends kühler und reagierte eher verärgert denn verständnisvoll auf ihre Wünsche. Nachdem er sich eine Weile gar nicht mehr gemeldet hatte, hatte Karla ein ganz schlechtes Bauchgefühl. Sie stellte ihn zur Rede. Schockiert stellte sie fest, dass sie inzwischen „ausgetauscht“ wurde gegen eine andere Frau, ebenfalls aus ihrem Sportverein. Von Trennung von der Ehefrau war keine Rede mehr. Wir besprechen, dass Karla allen Kontakt abbricht und sich erstmal Zeit nimmt, zu verstehen, was passiert ist, und welche Anteile sie daran hat. Noch nie ist sie in ihrem Leben in eine ähnliche Situation gekommen.
Natürlich enden nicht alle Affären so, aber dieses Muster ist erstaunlich häufig. Es hat übrigens auch nichts mit dem Geschlecht zu tun, Männern passiert dieses in Affären mit gebundenen Frauen genauso. Grundsätzlich empfehle ich, die eigenen Standards (die für die meisten Menschen Dreiecksbeziehungen ausschließen) unter keinen Umständen preiszugeben. Eigene Werte sollten idealerweise über Gefühle stehen. Falls man doch mal in so einer Situation landet, sollte man möglichst schnell auf Transparenz für alle Beteiligten drängen. Notfalls darf man auch gerne ein Ultimatum in Erwägung ziehen. Noch besser ist es allerdings, nur mit Menschen auszugehen, die auch wirklich frei und verfügbar sind.
(Name geändert)
Der Autor ist unter www.eheberatung.info und unter www.liebeschip.de zu erreichen.