Aug 12, 2020
Gesunde vs. toxische Beziehungen
Als Paartherapeut werde ich immer wieder mit der Frage konfrontiert, woran eine toxische Beziehung denn erkennbar sei. Eine Standard-Antwort gibt es leider nicht. Und da auch meist kein roter Punkt auf deren Stirn klebt mit der Aufschrift „Achtung toxisch“, führt kein Weg daran vorbei, es zu testen.
Aber beginnen wir von vorne. Was genau bedeutet denn eigentlich toxisch? Im Duden steht an erster Stelle „giftig“, an zweiter: „sehr bösartig, gefährlich, schädlich, zermürbend.“
Leider treffen alle Erläuterungen ziemlich ins Schwarze. Natürlich sind die Ausprägungen von Paar zu Paar unterschiedlich, aber für gewöhnlich erleidet mindestens einer der Partner seelische Schmerzen. Oft wird der Begriff der toxischen Beziehung in Zusammenhang mit Narzissmus, Borderline oder einer anderen psychischen Persönlichkeitsstörung bzw. Anteile davon genannt. Diese haben gemein, dass es ihnen u.a. oft an Empathie für ihr Gegenüber fehlt. Diese wiederum ist jedoch einer der wichtigsten Bestandteile, um eine gesunde und erfüllende Partnerschaft zu leben.
Das „schöne“ an toxischen Beziehungen ist, dass sie sich in den meisten Fällen direkt als eine solche outen. Nur sehen wir dies manchmal nicht, rosarote Brille sei Dank. Doch wenn wir unseren Verstand ebenfalls an den Dates teilhaben lassen, können wir sie recht schnell entlarven. Es gibt einige wichtige Punkte, auf die wir achten sollten. Ich nennen sie die Meilensteine einer gesunden Beziehung. Fehlt eines oder gar mehrerer dieser Kennzeichen, ist Vorsicht geboten.
Das erste Merkmal ist die Konsistenz. Die Treffen sollten konsistent sein, sprich in regelmäßigen Abständen stattfinden und nicht immer wieder aufgrund irgendwelcher Vorkommnisse verschoben werden. Auch die Stimmung sollte konsistent sein. Natürlich rennen wir nicht immer alle wie ein Honigkuchenpferd herum. Doch wenn unser Gegenüber das eine Mal aus dem schwärmen nicht herauskommt und beim anderen Mal völlig kalt und unnahbar ist, sollten wir wachsam den weiteren Verlauf beobachten.
Weiter geht es mit der Balance, die eng mit der Konsistenz verknüpft ist. Eine gesunde Beziehung sollte mich in und nicht aus der Balance bringen. Verbale Eskalationen, unnatürliches Verhalten oder das Verlieren in völliger Verlust- oder Bindungsangst sind hierbei nicht hilfreich.
Ein weiteres Kennzeichen für eine gesunde Beziehung ist die Progression. Der Verlauf einer Partnerschaft sollte in einem angenehmen und gesunden Tempo geschehen und die Weiterentwicklung deutlich erkennbar sein. Ein „Stehenbleiben“ ist daher eher ungünstig. Lernt man bspw. zwar die Freunde kennen, die Familie jedoch nicht oder darf man nie in die Wohnung des Partners, ist das kein gutes Zeichen. Die Geschwindigkeit ist natürlich sehr variabel, doch es sollte sich immer in die eine Richtung entwickeln: nach vorne. Leider verlaufen toxische Beziehungen meist genau andersherum. Beginnend mit der tollsten Fantasie, endend in einem Albtraum.
Das vierte Kennzeichen ist die Intimität. Darunter ist nicht nur der sexuelle Aspekt zu verstehen, sondern auch oder sogar v.a. der emotionale. Nur wenn sich beide Partner öffnen, dem Anderen vertrauen und sich somit verwundbar machen, kann echte Nähe und irgendwann Liebe entstehen. Verschließt sich einer der Partner vor dieser Intimität, kann sich daraus keine gesunde und erfüllende Beziehung entwickeln.
Wie immer gilt, dass jede Beziehung ihre ganz eigene Dynamik hat und ein Überstülpen eines Schema F nicht zielführend ist. Dennoch sind diese Merkmale ein gutes Indiz dafür, ob sich die Partnerschaft in eine gesunde und damit gute Richtung entwickelt. Sind wir achtsam und haben diese Meilensteine im Hinterkopf, erkennen wir toxische Beziehungen trotz rosaroter Brillen oder fehlenden roten Punkten.