Sep 05, 2018
Die gute alte exklusive, verbindliche Zweierbeziehung hat noch lange nicht ausgedient. Sie ist immer noch ein hervorragender Ort, in einem relativ sicheren Rahmen echte Intimität zu leben und sich gegenseitig weiterzuentwickeln. Dem widerspricht auch nicht, dass es viele, viele Trennungen gibt (die meisten Beziehungen scheitern übrigens nach 6-8 Monaten an mangelnder Kompatibilität). Wir entwickeln uns heute immer rascher weiter und wir werden immer älter. Auch haben wir recht hohe Ansprüche an Beziehungen, die der Partner nicht immer erfüllen kann und will. Deshalb kann man sagen, die Länge einer Beziehung sagt nicht automatisch etwas über die Qualität aus. Weil es praktisch keine wirtschaftlichen Gründe mehr gibt für traditionelle Beziehungen, wird aber auch viel Neues ausprobiert.
Dieses Konzept erfreut sich einer gewissen Beliebtheit, weil es erstmal so bequem wirkt. Wobei viele gar nicht schauen ob es neben dem Plus die Freundschaft eigentlich gibt. Freundschaft ist ein hohes Gut, das mit entsprechender Rücksichtnahme einher gehen sollte. Man kann zur Freundschaft-Plus sagen: Wenn keiner von beiden verliebt ist und / oder eine klassische Beziehung will, funktioniert es. Auch wenn es ein Start-Übergang in eine Beziehung ist. Ansonsten (und das ist oft der Fall) zahlt einer drauf. Man sollte nicht hoffen, dass sich aus einer längeren Phase von Freundschaft-Plus mehr entwickelt.
Nie (nie!) sollte man dieses Konzept akzeptieren, wenn man vorher in einer festen Beziehung mit dem „Freund“ war. Das wird nur wehtun.
Für mich ist die Offene Beziehung der Yeti unter den Beziehungen. Oft irgendwo gesehen worden, aber in echt trifft man ihn recht selten, außer in jüngeren Generationen. Ich habe in fast 20 Jahren Paarberatung nicht EIN Paar gehabt, wo BEIDE eine offene Beziehung führen wollten. Dabei ist das durchaus ein balanciertes Konzept, mit dem man offen und ehrlich umgehen kann.
Ich glaube, dass die offene Beziehung einerseits selten ist, weil sie nicht gerade Zeitgeist ist. Noch viel wichtiger ist aber wohl, dass sie nicht funktioniert, wenn es viele Ego-Aspekte (Besitzen wollen etc.) gibt- was bei den meisten von uns der Fall ist. Das führt dann doch zu Eifersucht und Schmerz. Wenn man das wirklich in der Tiefe abgebaut bekommt, kann die offene Beziehung funktionieren. Wenn man aber einen so weit entwickelten Partner hat, ist die Frage, ob man überhaupt noch mit anderen was haben will.
Wenn du dieses Konstrukt (offene Beziehung) ausprobieren willst, frag dich bitte erstmal: „Willst du das wirklich oder machst du es nur deinen Partner zu liebe?“ Ist dein Partner vielleicht nicht überzeugt genug von dir, dass er das überhaupt macht? Wenn du es weiterhin möchtest, müssen leider auch hier Regeln vereinbart werden… Viele offene Beziehungen sind nämlich nicht so offen, dass es keine Grenzen gibt. Diese liegen nur woanders. Also sagt man sich zum Beispiel, wenn man mit jemandem anderen schläft? Was ist, wenn sich einer in jemand anderen verliebt (die Wahrscheinlichkeit wird häufig sehr unterschätzt).
Bei der Polyamorie geht es darum, dass mehr als zwei Menschen sich in irgendeiner Weise lieben und versuchen, dies verbindlich zu leben. Nur mal als Beispiel (es gibt natürlich endlose Möglichkeiten) könnte eine asexuelle Frau, die aber gerne in Beziehung sein möchte, eine Dreierbeziehung führen mit einem Mann und einer weiteren Frau.
Es gibt hier eine sehr aktive Szene und es spricht auch im Prinzip nichts gegen solche Konzepte. Voraussetzung ist, dass jeder genau weiß, was läuft und eben nichts heimlich ist.
Leider wird der Begriff auch (bewusst oder unbewusst) benutzt von Menschen, die sich aufgrund ihres vermeidenden Bindungsstils einfach gar nicht committen wollen und dann solche Begriffe (die in dem Fall eher in die Irre führen) verwenden.
Nicht erwarten sollte man, dass solche Mehrfach-Beziehungen weniger Probleme aufwerfen als konventionelle Beziehungen.
Natürlich gibt es noch viel mehr Varianten. Aber alleine von diesen drei Konzepten wird klar, dass man der Komplexität des Beziehungslebens keineswegs entfliehen kann durch ein (vermeintlich) progressives Bindungsmodell. In jeder Beziehungsform ist Ehrlichkeit zu sich selbst und zu dem / den Anderen entscheidend.
Zum Thema Bindungsangst habe ich einen passenden Online-Kurs, den ich dir ans Herz lege, wenn du selbst mit Bindungsangst zu tun hast und daran arbeiten möchtest: Special: Bindungsangst und Ko-Abhängigkeit.