Feb 03, 2021
Was hat der Selbstwert mit einer toxischen Beziehung zu tun? Gerät man überhaupt in eine solche, wenn man genügend Selbstwert hat? Und was passiert mit diesem, wenn wir in einer ungesunden Verbindung zu jemandem stehen?
Spannende Fragen, die mir immer wieder gestellt werden, weswegen ich heute darauf eingehen möchte. Zunächst sollten wir den Begriff Selbstwert definieren. Laut Duden verstehen wir darunter das „Gefühl für den eigenen Wert“. Klingt noch immer sehr abstrakt wie ich finde. Ich verstehe unter dem Selbstwert meine eigene, grundlegende Einstellung zu mir und meinem Leben. Wie viel bin ich mir wert, wie gut soll es mir gehen, was akzeptiere ich, was nicht? In meiner Vorstellung ist der Selbstwert wie ein ganz weiches, fast transparentes Tuch, welches tief in mir liegt und mich, mein Wesen, meine Seele oder wie auch immer man es ausdrücken möchte, umgibt. Haben wir das Glück im Besitz eines solches Tuches zu sein, spüren wir eine tiefe, innere Sicherheit und Geborgenheit und dadurch deutlich weniger Angst und Sorgen als all jene, deren Tuch nicht vorhanden ist.
Der Grundstein für das Haben oder nicht Haben des Selbstwertes wird vor allem in der Kindheit gelegt. Nämlich dann, wenn wir merken, dass wir um unser Selbstwillen geliebt und geschätzt werden und nicht, weil wir gute Noten schreiben, brave Kinder sind oder bei allem immer zustimmen. Natürlich hängt der Selbstwert auch noch von anderen Dingen ab, doch heute wollen wir ihn in der Verbindung zu toxischen Beziehungen betrachten.
Ich behaupte, dass Menschen mit einem guten, stabilen Selbstwert weniger anfällig sind für toxische Beziehungen. Das liegt vor allem daran, dass sie sich nicht mit dem wenigen, was eine solche Verbindung zu bieten hat, zufriedengeben. Und sie stellen meist ihre Lebensfreude und eine qualitativ hochwertige Lebenszeit über eine Beziehung. Das machen Menschen mit geringem Selbstwert meist nicht. Denn aus eben diesem Mangel heraus versuchen sie alles, um die (toxische) Partnerschaft am Laufen zu halten und nicht verlassen zu werden. Eine Trennung wäre für sie gleichbedeutend mit der Bestätigung dieses inneren Defizits.
Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum Menschen mit geringem Selbstwert wahre Kämpfer sind, die oft weit über ihre eigenen Grenzen und Kräfte gehen. Sie wollen geliebt werden. Sie wollen Liebe. Von außen. Denn sie selbst können sich diese nicht geben oder zumindest nicht in einem ausreichenden Maß. Also investieren sie viel Kraft, Zeit und Energie, um die Liebe im Außen zu erhalten.
Doch in einer toxischen Beziehung passiert das Gegenteil. Die vielen Streitigkeiten, die Verdrehung der Wahrheit, die emotionalen Schmerzen, das permanente Kämpfen um Recht und Unrecht verunsichert uns viel mehr als dass es uns stärkt. In einer toxischen Beziehung fühlt man sich immer falsch. Falsch am Platz, falsch als Person, falsch mit seiner Einstellung. Oft höre ich, dass es doch eine gute Chance sei, „alten“ Wunden zu heilen. Doch das ist so, als ob man immer und immer wieder ein Pflaster von einem aufgeschürften Knie reist und hofft, dass es irgendwann gesundet. Doch das wird nicht passieren.
Den eigenen Selbstwert aufzubauen, ein eigenes, wohliges Tuch zu erschaffen, hängt zum größten Teil von uns selbst ab. Das ist harte Arbeit, die sich aber in jedem Falle lohnt. Andere können sicherlich unterstützend wirken, doch eine toxische Beziehung tut es in keinem Fall!